Reisebericht
von Wilhelm Schröder
eljaba@wilh-schroeder.de





Fotoshow
 

Vilnius

- Wenn Schönheit die Augen beherrscht, beherrscht sie gewöhnlich mehr. -
(Luc de Clapiers Vauvenargues)

 

Überall in den Metropolen der Welt herrscht an Hauptbahnhöfen ein geschäftiges Treiben. Das ist auch in Vilnius nicht anders, der Hauptstadt Litauens mit knapp 550.000 Einwohnern. Davon sind knapp 60 % Litauer, gut 19 % Polen und ebenfalls 19 % Russen und Weißrussen. Entsprechend multi-kulti stellen wir uns diese Stadt vor, und wir werden nicht enttäuscht. Auch in Vilnius haben wir ein weiterhin schon fast unverschämt gutes Wetter. Wir müssen wohl den Hauptgewinn gezogen haben, als es darum ging, in diesem Sommer die Sonnentage aufzuteilen.

Karl-Heinz hat von einem Bekannten die Adresse von einem jungen Mann bekommen, der uns hier in Vilnius bei der Suche nach günstigen Quartieren eventuell weiterhelfen kann, und er versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Der junge Mann ist aber just an diesem Tage Vater geworden, also in Eile, weil er direkt ins Krankenhaus fahren muss. Er gibt uns noch schnell einen Tipp und schlägt vor, uns am nächsten Tag nach dem Besuch im Krankenhaus zu treffen.

Der Tipp erweist sich jedoch als Flop: nach längerer Suche finden wir weit abseits des Zentrums eine schlechtere Jugendherberge vor, wo man uns noch nicht einmal alle zusammen in einem der größeren Schlafsäle unterbringen kann. Und auch der Preis scheint uns für dieses eher mäßige Quartier schlichtweg überzogen. Wir entschließen uns, weiterzufahren und auf unser Glück zu vertrauen.

 
Es ist schon ein besonderes Erlebnis, sich mit dem Fahrrad durch diese Stadt zu bewegen. Auch gibt es hier extra ausgewiesene Fahrspuren, die allerdings nicht von sehr vielen Radlern genutzt werden. Wir scheinen fast die Einzigen zu sein, die sich auf Drahteseln durch die Stadt wagen. Überhaupt haben wir in Litauen nur sehr wenige einheimische Radfahrer gesehen. Darauf angesprochen sagen uns die Litauer, dass es eben bequemer ist, mit dem Auto zu fahren. Hier in der Innenstadt haben wir es fast ausnahmslos mit Fußgängern zu tun, gelegentlich kommt uns jedoch auch ein Auto entgegen. Entsprechend Aufsehen erregen wir, die schwer bepackt durch die Hauptstadt des Landes radeln. Man spricht uns sogar tags darauf in einem Geschäft in der City auf unsere Räder an, obwohl wir zu der Zeit zu Fuß unterwegs sind!!

Unser erster Versuch, eine Herberge mitten in der Stadt zu finden, ist noch nicht von Erfolg gekrönt, jedoch schon ein paar hundert Meter weiter, mitten in der Fußgängerzone, bekommen wir in der Pilies gatve vom Hotel Atrium ein so verlockendes Angebot, dass wir uns spontan entschließen, es wahrzunehmen. Für umgerechnet 34 Euro pro Person bekommen wir zwei Doppelzimmer inklusive Frühstück. Das ganze nennt sich dann Wochenend-Discount.


 

Schon kurze Zeit später sitzen wir mitten in der Stadt vor unserem Hotel in einem Straßencafe und genießen die At-mosphäre dieser besonderen Stadt. Die Altstadt von Vilnius ist nicht nur in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes auf-genommen worden (übrigens auch die Kurische Nehrung), Vilnius hat auch eine international anerkannte Universität mit gut 22.000 Studenten. Entsprechend jung ist das Klientel, das sich durch diese Stadt bewegt. Und da das Wetter wie gesagt uns mehr als wohlgesonnen ist, wird auch das Auge verwöhnt, insbesondere was die besonders hübschen Litauerinnen angeht. Bei so viel Augenschmaus fällt es fast schwer, sich aufzuraffen, um weitere Eindrücke dieser Stadt zu bekommen.
 

Am Abend werden wir zufällig Zeuge, wie ein litauisches Fernsehteam einen Werbefilm mitten in der City vor der nationalen Philharmonie dreht. Alles geht so hautnah und ohne Berührungsängste ab, dass wir erstaunt sind. Da werden keine Absperrungen vorgenommen, da nimmt man Rücksicht auf ständig vorbeifahrende Autos, und an die Schauspieler und Schauspielerinnen kommt man so nah dran, wie es bei uns wohl kaum denkbar wäre. Auch geben sie uns bereitwillig Auskunft über ihre Arbeit, die sie hier zu später Stunde noch leisten. Man unterhält sich dann auf Englisch, die Sprache, mit der man heute in Litauen in den großen Städten überall weiterkommt. Deutsch sprechende Litauer sind hier doch schon eher die Ausnahme.



 
Wir machen noch einen Bummel doch die malerische Altstadt bei Nacht und landen spät abends in einer der vielen gemütlichen Altstadtkneipen, wo wir mit einer deutsch-sprechenden Gruppe junger Leute zusammentreffen, die durch Litauen wandern. Es stellt sich heraus, dass sie in Deutschland nur gut 100 Kilometer von uns entfernt wohnen und wir sogar gemeinsame Bekannte haben. Die Welt ist klein.

 


mouseover

Am nächsten Tag fahren wir ohne Gepäck durch die Stadt und ... unserer Priekuler Reisegruppe direkt in die Arme - vor dem Palast des litauischen Präsidenten. Sie hat gerade eine Führung und wir schließen uns für den Moment an. Die Geschichte des Palastes geht zurück bis ins 14. Jahrhundert, als sie nach der Christianisierung der Litauer gebaut wurde. Später beherbergte sie Botschafter, Künstler, Offiziere - bis sie im Jahre 1995 zum Palast des litauischen Präsidenten wurde, vier Jahre nach der Unabhängigkeit Litauens von der UdSSR.
Das sollte dann allerdings auch das letzte Mal sein, dass wir die Gruppe treffen.

Vilnius ist auch die Stadt der Kirchen. Manchmal stehen christliche Kirchen und jüdische Gotteshäuser gar in direkter Nachbarschaft, ebenso russisch-orthodoxe oder von Jesuiten gebaute zumeist im gotischen oder barocken Stil errichtete Basiliken. Die Stadt Vilnius selbst stuft fast 30 Kirchen als besonders sehenswert ein. Sie alle zu besuchen wäre für uns in der Zeit, die uns zur Verfügung steht, ein aussichtsloses Unterfangen. Wir begnügen uns damit, sie im Vorbeifahren zu bewundern. Nur das eine oder andere Mal sind wir so neugierig, dass wir auch einen Blick hinein riskieren.

Stellvertretend für alle die Kathedrale von Vilnius am Fuße des Gediminas Hügels, das geistige und politische Zentrum Litauens. Sie wurde 1251 von König Mindaugas gebaut, nach seinem Übertritt zum christlichen Glauben. Beeindruckend heute der riesige und sehr gepflegte Vorplatz, auf dem wir uns sogar mit unseren Fahrrädern ein wenig verloren vorkommen.

Fast direkt nebenan das Žemutines pilies Museum, das Museum im unteren Schloss, welches völlig neu restauriert wird. Dies enorme Projekt garantiert hier für die nächsten Jahre sicherlich eine riesige Baustelle.

Von Ferne dann sehen wir den Gedimino-Turm, der auf einem größeren Hügel liegend uns eine hervorragende Aussicht auf die Stadt verspricht. Wir ketten also unsere Fahrräder unten am Geländer an und machen uns zu Fuß auf den steilen Weg nach oben. Der Turm wurde im 13. und 14 Jahrhundert zur Verteidigung des oberen Schlosses gebaut und beherbergt heute eine Ausstellung von Rüstungen, Schwertern, alten Münzen und vielen anderen Exponaten, die die Geschichte Litauens belegen.

Nach vielen engen Stufen aufwärts sind wir endlich oben und genießen dann tatsächlich eine hervorragende Aussicht auf die nun unter uns liegende Stadt. Unten fließt die Neris, der Fluss, der die die Stadt in Alt- und Neustadt teilt - von oben wunderbar zu erkennen.

Wieder unten gönnen wir uns einen kleinen Imbiss in einem der vielen einladenden Restaurants am Fuße des Hügels, und als wir nach dem Essen wieder zu unseren Fahrrädern kommen, entdecken wir doch tatsächlich ein paar Regentropfen auf unseren Sätteln. Wir haben den einzigen "Regen" während unseres Aufenthaltes in Litauen verpasst.

 



 

Der Weg führt uns weiter in das wirklich interessante Bernsteinmuseum in der Šv. Mykolo gatve 8 und schließlich nutzen wir den Rest des Nachmittags zum Shoppen in den vielen modernen Läden der Stadt. Überall werden wir freundlich und zuvorkommend bedient, und in vielen Fällen lohnt sich ein Einkauf auch. Jedoch gibt es durchaus Artikel (wie zum Beispiel Parfum), da macht es aus finanziellen Erwägungen keinen Sinn, den wertvollen Stauraum unserer Fahrradtaschen damit zu belasten.

Am Abend sitzen wir wieder in der Pilies gatve vor unserem Hotel, wo wir den ereignisreichen Tag ausklingen lassen wollen. Da bekommen wir tatsächlich den am Vortage versprochenen Besuch.

 
Vladas ist 31 Jahre alt, gerade Vater geworden und hat vor ein paar Jahren im Osnabrücker Land eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Dabei hat er in kürzester Zeit auch die deutsche Sprache gelernt. Er spricht sie perfekt und bei so viel Talent ist uns klar, dass dieser junge Mann in diesem aufstrebenden Land schnell Karriere machen wird. So ist er in der Zwischenzeit Generalvertreter einer deutschen Firma geworden, die in Litauen einen viel versprechenden Markt für ihre landwirtschaftlichen Produkte sieht, zumal das Land ja soeben in die EU aufgenommen wurde. Und Vladas ist im Gegensatz zu vielen alten Litauern fest davon überzeugt, dass dieser Beitritt dem Land nur Vorteile bietet.

 
Der Aufenthalt in Vilnius geht zu Ende und die Zeit wird knapp. Um die Fähre zurück nach Deutschland nicht zu versäumen, müssen wir noch einmal mit dem Zug fahren. Dieser fährt zwar nach Riga, aber wir müssen unsere Pläne fallen lassen, Lettland zu besuchen. Um fünf Uhr in der Früh geht es also los, vorher hat man im Hotel noch ein Frühstück für uns organisiert. Die Fahrt mit dem Schnellzug ist wesentlich schwieriger als zuvor mit dem Regionalzug von Kaunas nach Vilnius. Der Einstieg ist hoch, und wir bekommen unsere Fahrräder nur mit viel Geschick in den engen Gängen untergebracht. Dort sind sie ein unüber-windbares Hindernis für die übrigen Passagiere und nur mit sehr viel Toleranz seitens der übrigen Fahrgäste und des Zugpersonals erreichen wir am späten Vormittag Šiauliai.
 

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