Reisebericht
von Wilhelm Schröder
eljaba@wilh-schroeder.de





Fotoshow
 

Von Šilute bis Kaunas

- Willst du Freunde erwerben? Sei selbst freundlich, vergiss dich selber. -
(Andrew Carnegie)

 
Nachdem wir unser Familienhighlight erlebt und nun Mutters Heimatdorf Daugmanten zurückgelassen haben gilt es fortan, sich als normale Fahrradtouristen durch Litauen zu bewegen. Als lohnenswerte Ziele haben wir uns Kaunas, Vilnius und Šiauliai auserwählt, und sollte noch Zeit bleiben, so wäre ein Abstecher nach Riga in Lettland ein zusätzliches i-Tüpfelchen.

Wir verlassen Šilute am frühen Morgen und erwägen zunächst eine Bahnfahrt in Richtung Kaunas. Doch dieses Unterfangen stirbt schon am Šiluter Bahnhof. Die Verbindungen sind derart schlecht, dass wir Kaunas wahrscheinlich mit dem Fahrrad schneller erreichen, als mit dem Zug. Wir schlagen also die Richtung Südost ein, um entlang des Flusses Nemunas (die Memel) unser nächstes Ziel, die ehemalige Hauptstadt Litauens anzusteuern.

 
Wir fahren auf relativ gut ausgebauten Straßen durch unberührte Natur. Immer wieder bestaunen wir die vielen Störche, die ihre Nester auf den Hausdächern am Wegesrand gebaut hatten. Aber auch wir werden bestaunt. Als wir an einem Kiosk unsere Wasserration auftanken, sind wir schnell von Kindern umgeben, die unsere Fahrräder begutachten. Nicht aufdringlich, sondern höflich neugierig. Und der eine oder andere versucht stolz, sein in der Schule gelerntes Englisch anzubringen. Als wir den Kindern je einen Litas in die Hand drücken (umgerechnet vielleicht 30 cent) sehen wir soviel Glück und Dankbarkeit in ihren Augen, wie wir es von unseren Kindern in Deutschland schon lange nicht mehr gewohnt sind.

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Irgendwann müssen wir auf einen Fahrradweg entlang der Straße ausweichen, doch die Fahrt auf diesen Wegen wird doch mehr zur Qual, weil die Teerdecke überall von den Baumwurzeln aufgerissen ist und somit für uns eine holprige Angelegenheit wird. Entschädigt werden wir aber durch die vielen Impressionen am Wegesrand, wie zum Beispiel diesen malerisch gelegenen Bauernhöfen, die anscheinend kurz vor dem Verfall stehend immer noch bewohnt sind. Und auch wenn die Substanz der Gebäude stark gelitten hat, die liebevoll gepflegten Blumen- und Gemüsegärten verraten, dass die Bewohner ihr Domizil noch nicht aufgegeben haben und es wahrscheinlich nur am nötigen Geld mangelt, Renovierungsarbeiten vorzunehmen.
 

Das Wetter ist weiterhin auf unserer Seite und die Straßen werden auch wieder besser, je näher wir dem Fluss Nemunas kommen. Plötzlich, wir haben ungefähr die russische Grenze in Höhe von Sovetsk, dem früheren Tilsit erreicht, werden wir von Motorradfahrern überholt, die kurz darauf anhalten. Es sind tatsächlich unsere Freunde aus Hamburg, die bis hierhin also auch noch nicht weiter als wir gekommen waren. Wir nehmen diese erneute Begegnung zum Anlass, unsere Adressen auszutauschen, mit dem Versprechen, sich nach der Baltikum-Reise in Verbindung zu setzen. Dies ist dann auch das letzte Mal, dass wir sie sehen. Wir wünschen ihnen viel Glück auf dem Weg nach Riga, wo für sie die Fähre zurück nach Deutschland wartet.

Nach gut 75 km fahren wir am späten Nachmittag in den Ort Viešvile hinein. Eugens Tochter hatte im Internet nach Übernachtungsmöglichkeiten gesucht, und wir erinnerten uns, dass eine Adresse in Viešvile darunter war. Schon gleich an der Ortseinfahrt werden wir auf eine Ansammlung von Fahrrädern aufmerksam, die an einen Zaun gelehnt steht. Schon treffen wir die Fremdenführerin der deutschen Reisegruppe aus Priekule, die mit ihrer Gruppe einen kleinen Zwischenstopp eingelegt hat. Auch wir sind hier genau richtig, denn Aldona (Tel.: +370 68759266) vermietet nicht nur äußerst preisgünstig an vorbeifahrende Touristen, sondern sie versteht es auch, sie gut zu bewirten.
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Direkt gegenüber lädt ein kleiner Badesee uns verschwitzte Radfahrer zur Abkühlung ein, welches wir auch direkt wahrnehmen. Vom See aus führt ein schmaler Bach in Richtung Nemunas, dessen Wasser so rein ist, dass wir in ihm sogar Teichmuscheln vorfinden.

Nach dem Bad im See und der Begehung des Baches hat Aldona in der Zwischenzeit ein leckeres Abendessen gezaubert und auch zum Nachspülen ist in ihrem kleinen Laden genug zu bekommen. Ansonsten jedoch hat der Ort nicht viel - oder besser gesagt - gar nichts zu bieten, also geht es früh in die Betten, um ausgeruht den nächsten Tag anzugehen.
 

Nach dem sehr guten Frühstück verabschieden wir uns von unserer aufmerksamen Gastgeberin und erreichen kurz darauf bei Jurbarkas die Memel (Nemunas). Ruhig und gelassen fließt sie dahin, auch wenn ihr Wasser an dieser Stelle nicht besonders sauber sein soll, da in den Jahren der Sowjetherrschaft sich niemand um die Reinhaltung dieses schönen Flusses kehrte und sämtliche Industrieabwasser in ihr landeten. Aber inzwischen geht sie besseren Zeiten entgegen und irgendwann wird auch die Memel wieder als sauberes Gewässer eingestuft werden können. Die Einheimischen baden derweil in ihren kleinen sauber gebliebenen Nebenflüssen.

Überall entlang der Nemunas stehen alte Burgen zumeist im 14. oder 15. Jahrhundert erbaut, wie die Burg Panemune (Bild re.) oder die Burg Raudone. Sie sind heute in denkbar schlechtem Zustand, jedoch auch hier ist das Bemühen zu erkennen, sie zu erhalten und vielleicht auch zu restaurieren. Wir allerdings treffen bei dem Versuch die Burg Panemune zu besichtigen nur auf einen unfreundlichen Gärtner. Der lässt uns einfach stehen und geht davon, trotz der Aufforderung seiner alten Mutter, uns ein wenig von der Burg zu zeigen. Dies ist im Übrigen das einzige Mal während unserer Reise durch Litauen, dass wir unfreundlich behandelt werden.
Überall sonst im Lande ist man stets bemüht, uns freundlich zu helfen oder Auskunft zu geben.
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Durch die vielen Besichtigungen und Zwischenstopps an diesem extrem heißen Tag haben wir unser gesetztes Ziel Kaunas nicht erreicht und müssen gegen Abend nach knapp 70 km Fahrstrecke nach einer Unterkunft suchen. Wir treffen auf den Bauern Vidas in Papiškiai, der vor seinem Bauernhaus ein kleines Ferienhaus betreibt, welches wohl ursprünglich das Wohnhaus war. Vidas und seine Mutter nehmen uns herzlich auf und sorgen für ein gutes Abendessen. Und auch der wegen der extrem sommerlichen Temperaturen reichlich vorhandene Durst kann gelöscht werden, wobei die Gastgeber diesen bei uns wohl unterschätzt haben, denn Vidas fährt mit seinem alten Audi zweimal in den nächsten Laden, um Nachschub zu holen.

Von der Wohnung hat man einen herrlichen Blick auf die nahe gelegene Memel und so ist es selbstverständlich, dass wir uns nach dem Abendessen noch einmal zu ihren Ufern aufmachen und ihre Schönheit und Stille genießen. Am nächsten Morgen erklärt sich Vidas bereit, unsere Räder auf seinem kleinen PKW-Anhänger zu packen und uns nach Kaunas zu fahren, damit wir die am Vortag versäumten 40 km aufholen. Gerne nehmen wir sein Angebot an und verabschieden uns von seiner Mutter. Unterwegs erfahren wir, dass sein recht gutes Deutsch von einem Praktikum in der Schweiz herrührt, wo er für ein Jahr auf einem Bauernhof moderne Agrarwirtschaft studierte.
(Vidas Tel.: +370 68547815, email)


 
Leon hat aus Cloppenburg einen Tipp mitgebracht, wo wir evtl. übernachten könnten: in einem Kloster. Wir stellen telefonisch Kontakt her und man gibt uns zu verstehen, dass wir willkommen seien. Die Fahrt ins Kloster ist doch recht anstrengend, liegt es doch am höchsten Punkt der Stadt, gut fünf Kilometer vom Zentrum entfernt. Dort angekommen werden wir aufs herzlichste begrüßt und führt uns alsbald in zwei sehr gepflegte Doppelzimmer. Das Frühstück wäre dann direkt nach der Messe. Als wir uns nach dem Preis erkundigen, sagt man uns, dass man sich freuen würde, wenn wir vor dem Frühstück die heilige Messe besuchten.

Kurz darauf machen wir uns auf, die Stadt zu erkunden. Kaunas liegt in herrlichstem Sonnenschein und da es Samstag ist, nutzen ihn wohl viele junge Paare, um in dieser schönen Stadt standesamtlich und in Weiß zu heiraten. Nie sahen wir so viele Hochzeitsgesellschaften an einem Tag wie hier in Kaunas. Und noch nie sahen wir so fröhliche Gruppen direkt vor dem Standesamt, dem so genannten weißen Schwan: da wird getanzt, Musik gespielt, kleine Reden gehalten, fotografiert und viel gelacht.

In der Stadt (ca. 450000 Einwohner) herrscht ein buntes Treiben. Die Straßencafés haben Hochkonjunktur, Hare-Krischna-Jünger ziehen singend durch die City, überall an den Ecken trifft man Straßenhändler, die zumeist ihre landwirtschaftlichen Produkte feilbieten. Die Geschäfte brauchen unseren westlichen Standard nicht zu scheuen. Es gibt nichts, was es nicht gibt, und dieses ist in den meisten Fällen wesentlich günstiger als bei uns in Deutschland

In einem Antik-Laden direkt am Marktplatz entdeckt Leon eine sehr interessante Ikone, und ist alsbald in ein Verkaufsgespräch mit dem Inhaber verwickelt. Da er gehört hatte, dass man durchaus mit den Geschäftsleuten handeln könne, versucht er den Preis zu drücken. Das gelingt ihm auch, allerdings scheint ihm das Entgegenkommen des Verkäufers nicht genug zu sein und er versucht, noch mehr herauszuholen. Dieses Unterfangen geht allerdings nach hinten los, denn damit hat er wohl die Ehre des Händlers gekränkt, und fortan ist dieser nicht mehr bereit, ihm überhaupt eine Ikone zu verkaufen. Uns tut es insofern leid, als dass Leon am Tag darauf Geburtstag hat, und so beschließen wir, den Laden zunächst zu verlassen, und es später noch einmal zu versuchen, ohne dass Leon es mitbekäme. Doch als wir gut eine Stunde später noch einmal einen Versuch wagen, ist das Geschäft geschlossen. Pech gehabt, Leon.

Wir lassen uns ein Restaurant empfehlen, wo man typisch litauisch essen gehen kann. Ein junger Mann verweist uns auf ein sehr altes Restaurant und legt uns ans Herz, Cepelinai zu bestellen, und als Getränk sollte es schon gira sein. Im BERNELIU UŽEIGA im Stadtzentrum in der K. Donelaicio g. 11 erleben wir ein fantastisches Restaurant, wo wir diese Spezialitäten serviert bekommen. Die Cepelinai (mit Fleisch gefüllte Kartoffelklöße mit einer speziellen Soße) schmecken fantastisch und gira ist so wunderbar erfrischend, dass wir beschließen, dieses in Zukunft nur noch zu trinken. Leider haben wir es in dieser Qualität woanders nicht mehr finden können.




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Nach dem Essen besichtigen wir St. Michael den Erzengel oder - wie er von den Einheimischen genannt wird - den Sobor, die riesige Basilika im Zentrum der Neustadt, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts von russischen Architekten im Auftrage des Zaren gebaut wurde.

Das Zentrum der Neustadt ist für Fahrradfahrer ideal, wir fahren entlang der Laisves AIeja (der Freiheitsallee) die inzwischen in einen breiten Fußgängerboulevard umgestaltet wurde mit ausgewiesenen Fahrradwegen, und wir setzen uns in eines der vielen interessanten Straßencafés und begucken einfach nur die vielen Spaziergänger, die an diesem schönen Nachmittag hier promenieren.


 
Aber letztendlich zieht es uns doch wieder zurück in die Altstadt und dort genau an den Ort, wo Nemunas und Neris zusammenfließen, die beiden größten Flüsse Litauens. Hier, abseits von der "Hektik" des Zentrums, genießen nicht nur wir die Ruhe, auch viele andere zieht es an diesen Ort, um einfach nur in der Sonne zu liegen, dem vorbeifahrenden Fahrgastschiff zuzuwinken oder aber sich einen Grill aufzustellen und bei Grillwurst und Bier den Tag abzuschließen. Auf dem Weg zurück in die Stadtmitte treffen wir - natürlich die Fahrradgruppe aus Priekule. Es sollte nicht das letzte Mal sein, jedoch wurde vorsichtshalber ein Erinnerungsfoto geschossen (mouseover Bild rechts).


 
Dann machen auch wir uns mit unseren Fahrrädern zurück auf den Weg ins Kloster, welches doch bei der plötzlich einsetzenden Dunkelheit nicht ganz einfach ist. Aber wir finden trotz einiger Irritationen und mit ein wenig Hilfe der immer hilfsbereiten Einheimischen doch schließlich heim. Ganz in der Nähe des Klosters gibt es einen hervorragend sortierten Supermarkt, der auch sonnabends (und wie wir gehört haben auch sonntags) bis spät in die Nacht geöffnet hat, sodass wir mit einem Fläschchen Bier um 24 Uhr auf Leons 56. Geburtstag anstoßen können. Alles ganz leise selbstverständlich, und auch nicht so lange, denn wir müssen ja am nächsten Morgen in die Messe. Und wir wollen unsere Gastgeber nicht enttäuschen.
 


Die Messe soll um 8 Uhr beginnen und wir sind der Meinung, dass wir gut daran tun, schon eine Viertelstunde früher dort zu sein. Doch wie überrascht sind wir, dass wir um diese Zeit die Letzten sind, die die Kirche betreten. Sie ist bis auf den letzten Platz gefüllt, und somit bleibt uns nichts anderes übrig, als die Messe im Stehen zu verfolgen. Volle katholische Kirchen kennen wir auch aus Deutschland, aber die Beweggründe in die Kirche zu gehen scheinen hier doch ganz andere zu sein, als bei uns. Nie zuvor haben wir so eine ehrliche Frömmigkeit der Menschen erlebt wie hier in Kaunas im kleinen Kloster an der Zeimenos gatve. Hier geht man nicht zur Kirche, um gesehen zu werden, hier spürt man die Ehrlichkeit, mit der die Menschen die Kirche aufsuchen.

Nach der Messe sind wir eingeladen zum Frühstück. Im Gemeinschaftsraum treffen sich die Schwestern des Klosters aber auch die Ministranten und der Pfarrer, der die Messe gehalten hat. Es stellt sich heraus, dass Letzterer vor seiner Pensionierung in Deutschland in der Nähe von Stuttgart Priester gewesen ist. Auch wenn er heute nicht mehr allzu gut hört, so erfreuen wir uns doch an seinem schwäbischen Dialekt und seinen Geschichten. Zum Abschied bekommen wir die besten Wünsche mit auf unseren Weg. Wir gehen aber nicht, ohne uns mit einer großzügigen Geldspende für die Gastfreundschaft zu bedanken.

 
Wir beschließen dann, den Weg nach Vilnius - unserem nächsten Ziel - mit der Bahn anzugehen, um möglichst viel von Litauen zu sehen. Noch einmal geht es hinunter ins Zentrum, noch einmal vorbei an der Basilika und schon sind wir am Bahnhof. Die Verbindung in das gut 100 km entfernte Vilnius ist gut, der Preis günstig. Auch die Räder sind im fast leeren Abteil schnell verstaut. Uns fällt auf, dass es hier in Litauen noch einen Bahnhofsvorsteher gibt - wir sehen ihn auf jedem Bahnhof - und uns fällt auf, dass der Schaffner (der Herr in roter Krawatte) hier nur für ein Abteil zuständig ist. So schafft man Arbeitsplätze. Die Fahrt verläuft ruhig ohne besondere Vorkommnisse, und gut 90 Minuten später steigen wir in Vilnius aus.
 
 

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